14.03.2021 4. Sonntag der Passionszeit - Laetare

14.03.2021 4. Sonntag der Passionszeit - Laetare



Predigt: Johannes 12:20-24 LÜ
20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. 22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen's Jesus. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Wir stehen in bewegten Zeiten. Vieles ist uns zur Last geworden. Manches möchten wir auch nicht mehr haben. Sich nicht mehr so frei bewegen zu können wie früher, das belastet viele Menschen in unseren Tagen schwer. Mancherlei Ängste machen sich breit. Mitunter sind es Existenzängste, Ängste in gesundheitlicher Hinsicht, aber auch in Blick auf das tägliche Leben, ob in der Arbeit oder in der Schule oder in den vielfältigen Bereichen unseres Lebens. Ängste sind beklemmend. Und wir sehnen uns nach Lichtblicken, nach Licht am Ende des Tunnels. Wir wollen wieder aufblühen und neue Freude haben. Und dennoch wissen wir, dass wir Ausdauer brauchen. Denn es ist eben eine schwere Zeit, die uns auferlegt ist. Und diese Zeit hat trotz allem ihren Sinn, selbst wenn wir es heute noch nicht so sehen können.

Im Kirchenjahr durchschreiten wir derzeit auch eine Zeit, die für viele Christinnen und Christen gar nicht so einfach ist. Die Passionszeit mit ihren Aspekten des Leidens und Sterbens drückt sie manch einem aufs Gemüt. Mit diesen Akzenten des Lebens wollen sich viele Menschen nicht so gerne auseinandersetzen. Und manch einer sehnt sich auch schon wieder nach anderen Zeiten. Ja, wenn es  Ostern wird und uns wieder die fröhlichen Lieder begegnen, dann sieht es wieder anders aus. Da tut es ganz gut, dass wir auf unserem Weg durch die Passionszeit heute an einem Punkt angelangt sind, an dem bereits ein Stück weit das Licht von Ostern hereinstrahlt. Der heutige Sonntag Laetare wird auch Kleinostern genannt und lässt die Osterfreude bereits anklingen.

Auch wenn wir auf unserem Lebensweg manch Hartes und Belastendes erleben müssen, so sind diese Zeichen der Freude ermutigend und wohltuend. Es sind Lockerungen der Bedrückungen und der Einschränkungen, die wir in verschiedenen Bereichen des Lebens erfahren müssen. In einer Zeit, in der es nicht so viel zum Lachen gibt, sehnen wir uns nach neuen Anlässen zur Freude. Und so wäre es für viele Menschen wieder einmal schön, so richtig ein Fest feiern zu können.

Und damit sind wir mitten im Geschehen unseres Evangeliums. In Jerusalem wird ein großes Fest gefeiert, das Passahfest. Und das war immer Anlass dazu, dass viele Menschen von nah und fern in die Stadt kamen. Man wollte miteinander dieses Fest begehen und erleben. Und alle, die kamen, verspürten eine ganz besondere Atmosphäre. Bei diesem Fest spürte man, hier erleben wir etwas Außergewöhnliches. Und zu diesem Fest hatten die Menschen sich auf vielfältige Weise vorbereitet. So können wir das auch mit unseren Festen in unserer Zeit vergleichen, zumindest wenn wir auf die Zeit vor Corona blicken. Weihnachten, Ostern und Pfingsten, die großen Feste der Christenheit werden in unserer Gesellschaft herausragend gefeiert. Vor allem Weihnachten und Ostern werden groß vermarktet. Menschen sind im Vorfeld unterwegs und erledigen Besorgungen. Alles muss gut arrangiert werden. Viele planen die Feste mit anderen zusammen, in irgendeiner Gemeinschaft. Und zu diesen Festen gehören auch die entsprechenden Festessen.

Doch auf der anderen Seite müssen wir uns gerade in unserer Zeit immer mehr fragen: Wissen die Menschen überhaupt, weshalb wir dieses Fest feiern? Sind bei vielen Menschen unsere Feste nicht mittlerweile sinnentleert? Ist uns überhaupt noch bewusst, dass es hier um mehr geht als um ein Zusammensein mit etwas Gaudi und kulinarischen Köstlichkeiten?

Vermutlich war es auch in früheren Zeiten bereits so, dass nicht alle Menschen in gleicher Weise die Feste begehen wollten. Und nicht für alle stand außer der Sehnsucht nach Feiern noch mehr im Blick. Dabei führte das Passahfest vor Augen, dass es hier um etwas ganz Grundlegendes für uns Menschen geht. Bei diesem Fest erinnern sich die Juden bis zum heutigen Tag an die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Und damit verbindet sich nicht nur der Blick zurück auf ein lange zurückliegendes Ereignis. Es geht auch darum, dass Gott uns immer wieder befreien kann und will. Und gerade wenn wir Menschen durch Zeiten gehen, die für uns bedrückend sind, in denen wir uns nach Befreiung sehnen, dann möchte die Botschaft beispielsweise dieses Passahfestes neu die Richtung vorgeben.

Damals waren Griechen nach Jerusalem gekommen. Und das waren wohl keine Juden, sondern Menschen, die mit ihrer ganz persönlichen Lebensgeschichte und den dazugehörigen Fragen und Problemen gekommen sind. Sie hatten sich bereits dem Gott Israels zugewendet und spürten, dass er ihnen und ihrem Leben neue Impulse und Befreiung geben kann. Und diese Griechen meinten es offensichtlich auch sehr ernst, denn sie kamen, um anzubeten. Anbetung ist ein sehr tiefgehender und inniger Schritt. Wer anbetet, tritt mit dem lebendigen Gott in Beziehung. Diese Griechen wollten also nicht einfach nur feiern und Freude haben. Sie wollten sich nicht nur an alte Geschichten erinnern. Sie wollten vielmehr Gott in ihrem Leben als den erfahren, der ihnen Befreiung und Freude schenkt.
Aber dazu kommt nun noch etwas anderes: Ganz offensichtlich haben diese Griechen bereits von Jesus gehört. Man hat ihnen berichtet, dass er durch die Lande zieht und zu den Menschen redet. Und das sind ermutigende Worte. Das ist eine Botschaft, die frei macht, die beflügelt. Außerdem verändert er nicht nur durch Worte das Leben. Er geht auf Menschen zu, heilt die Kranken, nimmt diejenigen, die gescheitert sind, wieder in die Gemeinschaft auf. Er schenkt neue Freude. Und: In ihm ist der lebendige Gott gegenwärtig.

Die Griechen spüren: Das ist etwas für uns und unsere Fragen. Diesen Jesus wollen wir kennenlernen. Diesen Jesus müssen wir sehen. Und da finden sie Philippus in Jerusalem. Und das trifft sich gut. Philippus ist ein Mann mit griechischem Namen. Da fühlen sie sich schon fast wie zuhause. Und sie erfahren, dass er den direkten Draht zu Jesus hat. Und sie bringen ihr großes Anliegen vor ihn: „Wir wollen Jesus sehen.“ Und nicht nur Philippus, sondern auch der andere Jünger mit griechischem Namen, Andreas, nimmt ihr Begehren ernst. Gemeinsam tragen sie die Bitte der Griechen Jesus vor.

In unseren Tagen ist es eher eine Ausnahme, wenn Menschen zu uns kommen und sagen: „Wir wollen Jesus sehen.“ Von Jesus hört man in unserer Zeit das eine oder andere. Aber das scheint für viele nicht mehr ihrer Lebenswirklichkeit zu entsprechen. Zumindest haben offenbar viele Menschen nicht mehr den Eindruck, dass sie bei Jesus Antworten auf ihre Lebensfragen finden könnten. Und vielleicht liegt das ja auch an dem Vorzimmerpersonal, an uns. Philippus und Andreas waren jedenfalls gleich bereit, das Anliegen der Griechen zu Jesus zu bringen. Wie steht es da mit uns heute? Sind wir bereit, die Fragen und Anliegen der Menschen heute so ernst zu nehmen, dass sie den Eindruck gewinnen, es lohnt sich wirklich, Jesus zu sehen?
Außerdem stellt sich heute noch die andere Frage. Ist Jesus wirklich derjenige, der Antwort geben möchte auf die Fragen der Menschen?

Aber schon damals war die Antwort Jesu zumindest verwirrend und irritierend. Wenn wir uns die Situation anschauen, können wir geradezu den Eindruck gewinnen, dass die Griechen abgelehnt werden. Stellen wir uns vor, wir gehen zu einer Arztpraxis, weil uns etwas fehlt. Und wir bringen unser Anliegen vor: Wir möchten die Ärztin gerne sprechen. Wir möchten, dass sie eine Blick auf unseren Zustand wirft, damit uns geholfen werden kann. Und dann sagt die freundliche Dame an der Empfangstheke: Es tut mir leid, aber heute sind wir schon komplett ausgebucht. Und wir bitten noch einmal inständig, ob sich die Ärztin nicht doch einen kleinen Moment Zeit für uns nehmen könnte. Und die Dame vom Empfang steht sogar auf und geht in das Behandlungszimmer, um nachzufragen. Doch dann kommt sie zurück und bedauert, dass es heute leider nicht geht. Dann sind wir zutiefst enttäuscht und am Boden. Dann haben wir den Eindruck: Hier werde ich nicht wahrgenommen, auch wenn es wirklich an diesem Tag keinen Weg geben mag.

So ähnlich müssen sich die Griechen auch gefühlt haben: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Was ist das für eine Antwort! Man kann den Eindruck haben, dass Jesus die Griechen vollkommen ignoriert. Ist er jetzt ganz abgehoben und erkennt nicht die Sehnsucht dieser Menschen?

Doch, wenn wir genauer hinschauen, dann ist das ein starkes Bild, das Jesus gebraucht. Das Weizenkorn! Aus dem Rhythmus der Natur wissen wir, dass ein Weizenkorn nicht so bleibt, wie es ist, wenn es in die Erde kommt. Normalerweise bricht es dann nach einiger Zeit auf. Seine alte Konsistenz zerbricht und es entsteht neues Leben. Da wächst etwas heran und bringt schließlich neue Frucht. Doch was will Jesus damit sagen?

Es geht ihm um die Frage: Was wollen die Griechen sehen? Und letztlich stellt sich diese Frage auch für uns heute: Wenn wir an Jesus denken, was wollen wir sehen? Worum geht es uns? Und da sind wir bei einem Problem unserer Zeit. Für viele Menschen ist gerade der leidende Jesus unerträglich. Das können sie nicht anschauen. Deshalb meiden viele auch gerade diese Passagen im Leben Jesu. Erstaunlich ist, dass wir Menschen scheinbar so abgestumpft sind, dass uns die Nachrichten aus aller Welt mit ihren Schrecknissen nichts auszumachen scheinen, aber das Kreuz für viele zu einem Problem geworden ist. Jesus sagt aber mit seiner Antwort ganz deutlich: Wer mich sehen will, der muss mich voll und ganz sehen. Und das bedeutet auch: Wir kommen um die Passion nicht herum. Seine Botschaft ist nur vollständig, wenn wir Leiden, Sterben und Auferstehen zusammensehen. Das Weizenkorn ist das Bild dafür. Das Weizenkorn zeigt uns: Ostern gibt es nicht ohne die Passion. Unser Lebensweg führt eben durch die Tiefen des Alltags. Unser Lebensweg ist eben nicht nur von den schönen Momenten geprägt. Und Jesus ist den Weg selber gegangen. Sein Weg besteht aus Passion und Ostern. Sterben ist hier umfassend zu sehen. Wenn wir nicht an dem Vergänglichen festhalten, wenn wir nicht auf unsere eigenen Belange ausgerichtet sind und immer nur das Ich in den Mittelpunkt stellen, wenn unsere Ich-Bezogenheit sterben kann, dann eröffnet sich neues Leben. Wenn der Kern unseres alten Lebens zerplatzen und aufbrechen kann, dann ermöglicht sich neue Frucht. Hier geht Jesus uns den Weg voran. Er ist nicht darauf bedacht, sein eigenes Leben zu retten, sondern hinzugeben, damit wir leben können.

Wenn wir Antwort auf die Fragen unseres Lebens suchen, wenn wir einen Halt und eine Perspektive für unser Leben haben wollen, dann müssen wir auf Jesus schauen und damit auch auf seine Passion. Aber das hilft uns zu sehen: Auch in schweren Zeiten blicken wir von Ostern her. Mögen wir steinige Wege gehen müssen, dann gilt es zu sehen: Jesus hat diesen Weg auf sich genommen und überwunden.

Wir stehen in einer harten Zeit. Und wir sehnen uns nach Veränderung, nach Leben, nach Freude. Diese Freude werden wir bekommen, wenn wir mit der österlichen Perspektive in dieser Zeit nicht resignieren, sondern fragen: Wie kann neues Leben in unseren Alltag kommen? Wie können wir befreit werden von unseren Begrenzungen, einen kreativen Umgang finden, so dass wir trotz der Einschränkungen einander hineinnehmen in neue Gemeinschaft.

Die Griechen kamen, um anzubeten. Anbetung ist der erste Schritt, die bewusste Hinwendung zu Gott. Damit schauen wir auf, weg von unserem Kreisen um uns selbst, hin zu Gott. Wir bekommen eine Sehnsucht danach, Gottes Gegenwart in Jesus zu sehen. Wir dürfen uns nicht davon abschrecken lassen, dass sein Weg durch die Leiden und den Tod geführt hat. Aber wir dürfen dahinter das neue Leben entdecken, dass sich auch mitten unter uns entfalten kann. Jesus schenkt uns die Befreiung und die Kraft, die Mauern und Fesseln der Lasten unseres Lebens zu überwinden. Und so kann mitten in der Passion bereits die tiefe Freude von Ostern aufleuchten.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg