17.02.2021 Aschermittwoch

17.02.2021 Aschermittwoch



Mit dem Aschermittwoch treten wir in die vierzigtägige Fasten- und Passionszeit. Die neue Predigtordnung der evangelischen Kirche sieht in diesem Jahr einen Psalm als Predigttext vor. Das ist etwas Besonderes, da bisher Psalmen nicht zu den regulären Predigttexten im Kirchenjahr gehörten.

Predigt: Psalm 51 LÜ

1 Ein Psalm Davids, vorzusingen, 2 als der Prophet Nathan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba eingegangen war. 3 Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. 4 Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde; 5 denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir. 6 An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan, auf dass du recht behaltest in deinen Worten und rein dastehst, wenn du richtest. 7 Siehe, in Schuld bin ich geboren, und meine Mutter hat mich in Sünde empfangen. 8 Siehe, du liebst Wahrheit, die im Verborgenen liegt, und im Geheimen tust du mir Weisheit kund. 9 Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde; wasche mich, dass ich weißer werde als Schnee. 10 Lass mich hören Freude und Wonne, dass die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. 11 Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden, und tilge alle meine Missetat. 12 Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist. 13 Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. 14 Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus. 15 Ich will die Übertreter deine Wege lehren, dass sich die Sünder zu dir bekehren. 16 Errette mich von Blutschuld, / Gott, der du mein Gott und Heiland bist, dass meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme. 17 Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige. 18 Denn Schlachtopfer willst du nicht, / ich wollte sie dir sonst geben, und Brandopfer gefallen dir nicht. 19 Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist, ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. 20 Tue wohl an Zion nach deiner Gnade, baue die Mauern zu Jerusalem. 21 Dann werden dir gefallen rechte Opfer, / Brandopfer und Ganzopfer; dann wird man Stiere auf deinem Altar opfern.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

„Du bist es!“ Diese Worte erschüttern! „Du bist es!“ Diese Worte treffen. Und wenn dazu noch der ausgestreckte Zeigefinger direkt auf einen deutet, dann durchfährt einen ein Schrecken. Mit dem Rücken zur Wand, im Bewusstsein, dass es jetzt keinen Ausweg mehr gibt, stehen wir geängstigt da. Da muss ich mich der Realität stellen. Da komme ich nicht drum herum.

Im Vorwort des Psalms ist vom Propheten Nathan die Rede. Und damit werden wir in eine ganz bestimmte Situation hineingenommen. Es ist eine Begebenheit, die das Bild eines geschätzten und großen Königs erschüttert. David gilt als der große König Israels. Er ist das Vorbild, weil unter David Israel so groß und mächtig gewesen ist wie zu keiner anderen Zeit. Luxus und Wohlstand gaben dem Volk ein gutes Gefühl. Uns geht es gut. Wir können in Frieden leben. Doch dieser so bedeutende König hatte auch seine Schattenseiten. Und da reicht es, dass ein Prophet ihm einen Besuch abstattet und letztlich nur ein paar wenige Worte ausspricht: „Du bist es!“ David hatte sich heimlich, still und leise an eine wunderschöne Frau herangemacht. Batseba war verheiratet. Doch das respektierte David nicht. Er sorgt sogar dafür, dass ihr Mann ums Leben kommt. Aber offensichtlich machte ihm das alles nichts aus. Er war so gefangen von der Schönheit dieser Frau, die er unbedingt besitzen wollte, dass er nicht einmal ein schlechtes Gewissen hatte. Doch eines Tages tauchte dieser Prophet auf. Und er erzählt David eine Geschichte. Und er lässt David urteilen, wie zu verfahren ist. David hatte nicht bemerkt, dass Nathan ihm seine eigene Geschichte erzählte. Er hatte sich aufs Glatteis führen lassen und wünschte dem Übeltäter in Nathans Geschichte den Tod.  Und da deutet Nathan auf David und sagt: „Du bist es!“

Der König ist zu tiefst getroffen. Es fällt ihm wie Schuppen von seinen Augen. Und mit einem Mal sticht ihn sein Gewissen. All das, woran er sich erfreut und ergötzt hatte, wird nun zur bitteren Qual. Der Prophet hat ihn bloß gestellt. David hat sein Gesicht verloren. Tief getroffen setzt er sich hin und singt ein Lied, einen Psalm. Es ist kein fröhliches Lied. Es ist kein Lied, das man bei einer Feier anstimmen würde. Es ist das verzweifelte Lied eines Menschen, der getroffen ist von seiner eigenen Schuld. In unseren Bibeln finden wir die Überschrift „Bußpsalm“. Und Buße ist ein sehr konkreter Schritt, ein Schritt der grundlegenden Veränderung. David geht mit diesem Lied in sich. Und in seiner Not, getroffen vom Schmerz der Bloßstellung, fleht er darum, dass Gott ihm gnädig sei.

„Du bist es!“ Wie hören wir diese Worte? Sind wir ähnlich wie David getroffen und erschüttert? Oder sagen wir: „Nee, so etwas mache ich doch nicht! So schlimme Sachen gibt es in meinem Leben nicht!“? Mag sein, dass wir mit uns selbst gerne gnädig sind, über das eine oder andere hinwegschauen oder uns der Auswirkungen unseres Reden, Tun und Handelns gar nicht so bewusst sind. Mag sein, dass wir über unser Leben sagen: „Alles gut. Passt schon.“ Doch stimmt das wirklich? Sind wir da ehrlich genug mit uns selber. Es ist ein Schutzmechanismus, wenn wir Menschen die unangenehmen Dinge verdrängen oder herabstufen. Doch das macht nicht wirklich frei. An anderer Stelle kann das Verdrängte wieder aufpoppen und schmerzhaft zutage treten. Deshalb hilft es nichts, der Realität aus dem Weg zu gehen, zu verharmlosen oder gar zu übersehen. Es mag eine unangenehme Erkenntnis sein, aber wir müssen uns dem stellen: Als Menschen machen wir uns immer wieder schuldig. Ein falsches Wort, eine ungute Handlung, ein Missgeschick, so vieles kann einen Schatten über unser Leben legen. Und dabei müssen wir uns auch bewusst werden, dass das jeden Tag immer wieder geschehen kann. Wo Menschen zusammentreffen oder handeln, da lauert auch die Gefahr von Schuld.

David fühlte sich enttarnt. Er hatte es gut verdrängt, aber nun blieb es nicht im Verborgenen. Er musste sich der Situation stellen. In seiner Not fleht er. Und wir spüren, dass er sich durch sein Handeln beschmutzt fühlt. „Reinige mich, wasche mich!“ Das ruft er sehnlichst Gott zu. Dieser Makel muss von ihm genommen werden. Ihm wird bewusst: Das, was geschehen ist, kann er nicht mehr ungeschehen machen. Er ist auf die liebevolle Zuwendung Gottes angewiesen. Und so ruft er: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus.“ Diese Worte, diese Bitten sind Ausdruck einer grundlegenden Veränderung im Herzen. Es ist Buße, Umkehr. Der Wunsch nach Veränderung. Zugleich erkennt David, dass das nicht von ihm selbst bewerkstelligt werden kann. „Schaffe in mir!“ Das ist der Ruf nach dem Schöpfer. Er soll neu schaffen, ein Herz, das nicht auf eigene Interessen und Vorteile, auf Lustgewinn und Intrigen aus ist. David sehnt sich nach einem reinen Herz, einem Herzen, an dem nicht der Schmutz der Verfehlungen klebt. David möchte frei werden von diesem Dreck, der lähmt und quält, der unfrei macht und belastet. Er sehnt sich nach einem Geist, der beständig ist. Und das bedeutet: David möchte nicht mehr einfach den Versuchungen erliegen, nicht mehr sich hinreißen lassen zu Dingen, die er hinterher bereuen muss, auch wenn so viel verlockend daran sein mag. Er spürt, dass dieser kurzfristige Spaßgenuss letztlich doch nur die Freude nimmt. Er hat nichts davon. Das zieht ihn nur herunter. Und so sehnt er sich nach neuer Freude, nach echter Freude, nach Lebensfreude, die von Gott kommt.

Und letztlich ist das auch unser Verlangen. Wir wollen nicht steckenbleiben in Momenten, in denen uns das Atmen schwer fällt, wo wir nur noch die Belastungen durch Ärger, Schuld und Verletzungen spüren. Auch wir sehnen uns nach Lebensfreude. Deshalb sind die Worte Davids auch Worte, die uns gut tun. Das Flehen „Schaffe in mir, Gott, eine reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist“ ist Ausdruck einer Sehnsucht nach Erneuerung.

Doch wir Menschen tendieren auch so leicht dazu, auf billige Weise unsere Defizite wieder ausgleichen zu wollen. Und so kommen die Opfer zur Sprache. Es ist ein altes Prinzip, das scheinbar im Menschen verankert ist, zu sagen: Ich bringe ein Opfer, eine Gegenleistung für meine Verfehlungen. Und dann muss es schon wieder gut sein. Doch David kommt in seinem Lied zu recht zu der Erkenntnis, dass das nichts bringt. Ich kann Gott nicht mit Opfern, mit Leistungen imponieren. Stattdessen spricht er von etwas, wo vermutlich viele von uns erst einmal zurückschrecken: „Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängstigter Geist, ein geängstigtes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.“ Ja, muss ich mich denn jetzt ganz klein machen? Muss ich denn jetzt Angst haben? Ja, wer bin ich denn! Genau das ist die Frage: Wer bin ich denn! Der Mensch sieht sich so leicht als der große Akteur in dieser Welt. Uns kann niemand etwas vormachen. Und deshalb lass ich mich auch nicht demütigen. Schließlich bin ich der große Mensch. Nur, dass das eben nicht funktioniert. David nimmt hier eine realistische Sicht des Menschen ein. Wie klein sind wir vor dem großen Gott! Wir kommen doch vor ihn mit leeren Händen. Aber das ist gerade unsere Chance! Wenn ich mit leeren Händen komme, dann kann ich sie füllen lassen, dann kann ich mich verändern lassen, dann kann sich bei mir grundlegend etwas ändern. Ich kann umkehren, Buße tun und somit frei werden von dem, was mein Leben herunterziehen möchte. Ein Herz, das nicht hochmütig ist, auf andere herabschaut und meint, alles nach eigenem Gutdünken tun zu können, das kann frei sein von den Verunreinigungen dieser Welt.

Deshalb finden wir in dem Psalm auch diesen schönen Vers: „Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.“ Wie wunderbar ist es, wenn man nicht mehr verstummen muss, wenn nicht mehr der Finger auf einen zeigt und dazu die Worte zu hören sind: „Du warst es!“ Denn dann bleibt das Gedruckse um die Wahrheit aus. Dann kann man sich befreit öffnen und Gott loben. Und das ist ein Ausdruck der Freude.

Vor uns liegen die vierzig Tage der Passions- und Fastenzeit. Es ist eine Zeit, in der wir ganz bewusst in uns gehen können, unser Leben bedenken können, aber auch frei werden können. „Du warst es!“ Das ist immer unangenehm, enttarnt zu werden, sich aber gleichzeitig immer verstecken zu wollen vor der Realität, das lähmt und macht traurig. Das Flehen Davids um Veränderung darf auch unser Flehen sein. Und Gott möchte Vergebung schenken, damit wir frei werden. Von daher ist es ein grundlegend wichtiger Schritt, zu sehen: Ich habe meine Fehler und Schwächen. Ich bekenne sie vor Gott und ich bitte inständig: Gott reinige mich, dass ich unbeschwert aufblicken und fröhlich sein kann.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg