30.05.2021 Trinitatis

30.05.2021 Trinitatis



Predigt: Johannes 3:1-13 LÜ

1 Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden. 2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. 3 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. 4 Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? 5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 6 Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden. 8 Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist. 9 Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie mag das zugehen? 10 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du bist Israels Lehrer und weißt das nicht? 11 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an. 12 Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? 13 Und niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem, der vom Himmel herabgekommen ist, nämlich der Menschensohn.


Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Es gibt Menschen, die haben ein selbstbewusstes Auftreten. Wenn wir diese Menschen sehen, ihnen begegnen, dann haben wir den Eindruck: Diesen Menschen kann nichts aus der Fassung bringen. Der lässt sich nicht einschüchtern. Und da haben wir manche machthungrigen Politiker vor Augen, aber auch Fachleute aus verschiedensten Bereichen. Jeder und jede sieht sich als Experte, als kompetent auf dem eigenen Spezialgebiet und lässt das heraushängen. Und manche Leute lassen sich auch nicht einschüchtern, weil sie einfach nur Geld haben. „Ich kann mir alles leisten!“ So denken sie. Und auch unter den Menschen, die sozial schwächer gestellt sind, gibt es einige, die ein sehr selbstbewusstes Auftreten an den Tag legen können. Und so dulden manche keinen Widerspruch. Auch wollen sie sich keine Blöße geben. Sie wollen ihren Stand haben, zeigen, dass sie sich durchsetzen können, dass sie wer sind.

Vielleicht haben wir heute einen solchen Menschen vor Augen. Nikodemus gehört zu den Pharisäern. Er kennt sich also in der Heiligen Schrift aus. Er kennt die Gebote. Er weiß, wie man sich vor Gott verhalten muss. Er ist aber auch geachtet unter den Schriftgelehrten und Pharisäern. Davon zeugt zumindest sein Name: Nikodemus. Das bedeutet: Sieger in der Volksversammlung. Nikodemus war wohl eine  Autoritätsperson. Und doch scheint ihn einiges beschäftigt zu haben. Dieser Jesus, sein Auftreten, sein Wirken, seine Reden, das hat alles etwas Außergewöhnliches. Er vollbringt Zeichen, die mehr sind als irgendwelche Showeinlagen. Und das treibt den Nikodemus um. Das macht ihn neugierig. Das bereitet ihm Kopfzerbrechen.

Vielleicht geht es manch einem Menschen in unseren Tagen ähnlich. Da hat sich jemand seine Welt zurechtgelegt. Er meint, alles im Griff zu haben. Und von den religiösen Fragen hält er sich eher fern. Nur keine Blöße geben! Religion ist etwas für die Schwachen, für die Versager. Und doch bohren da im Inneren Fragen, Fragen, auf die es scheinbar keine leichten Antworten gibt, Fragen, die nicht einfach so in den Griff zu bekommen sind. Also: Was tun? Soll man Schwäche zeigen und zu denen gehen, die etwas darauf verstehen? Oder ist das peinlich? Vielleicht ergibt sich ja mal eine Gelegenheit, ganz unverfänglich etwas zu ergründen. Aber offen zuzugeben, dass man sich mit diesen Fragen des Lebens beschäftigt, das traut sich manch einer doch nicht.

Nikodemus hat es wohl irgendwann nicht mehr ausgehalten. Er macht sich auf, ganz heimlich, still und leise, mitten in der Nacht, wenn er nicht gesehen wird. Er wagt es, zu Jesus zu gehen, sich ihm anzuvertrauen mit dem, was ihn bewegt. Aber das kostet schon Überwindung, wie es auch in unseren Tagen manch einem Überwindung kostet, sich aufzumachen, um nach Jesus zu fragen.

Nikodemus hat es geschafft. Er hat Jesus gefunden. Und nun möchte er mit ihm ins Gespräch kommen. Er beginnt das Gespräch. Und er versucht es auf eine Weise, die auf ein Gespräch auf Augenhöhe zielt. Nikodemus gesteht Jesus zu, dass er eine herausragende Persönlichkeit ist. Er formuliert erst einmal eine Feststellung. Er sagt: Uns Pharisäern und Schriftgelehrten ist bekannt, dass Du klug redest und handelst. Wir erkennen Dich als Lehrer an. Und wir sehen, dass Du besondere Zeichen vollbringst. Und die weisen auf Gott hin.

Es ist eine typische Weise, mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Und dabei bringt Nikodemus seine Anerkennung zum Ausdruck.
Doch das scheint nicht zu funktionieren. Denn hier wird gleich am Anfang deutlich, dass Nikodemus sich verschätzt hat. Jesus gibt ihm eine Antwort, die auf den ersten Blick nichts mit den Worten des Nikodemus zu tun hat. Und es ist zudem eine Antwort, die mehr Fragezeichen aufwirft als Klärungen gibt. Jesus fordert Nikodemus mit seinen Worten heraus. Er provoziert ihn schlichtweg. Und er macht gleich auch klar: In diesem Punkt sind wir nicht auf Augenhöhe! Nikodemus muss erkennen: Hier bin ich nicht der Siegertyp. Hier muss ich runter von meinem hohen Ross. Hier muss ich erkennen, dass der, der mir gegenübersteht, einen Nummer zu groß ist für mich.

Und damit sind wir beim heutigen Sonntag, beim Fest Trinitatis. Die Trinität, die Dreieinigkeit ist vielen Menschen nicht verständlich. Gerade neulich wurde ich von einem ehemaligen Konfirmanden angesprochen: „Können Sie mir das noch einmal erklären mit der Trinität. Wie ist das gemeint?“ Die Trinität ist ein Geheimnis, ein Geheimnis des Glaubens. Für den nüchtern denkenden Menschen ist es schlicht nicht nachvollziehbar. Wie kann das sein? Sind es nun drei Götter? Oder ist es ein Gott?

Das ist hier zwar nicht die Frage, die Nikodemus beschäftigt, als er die Antwort Jesu vernimmt. Aber dahinter steht das gleiche Prinzip. Es geht um das Geheimnis des Glaubens. Jesus redet über die neue Geburt. Und das ist dem Nikodemus nicht nachvollziehbar. Als  Mensch werde ich geboren, und zwar einmal, am Anfang meines Lebens. Und dazu kann ich nichts. Ich bin plötzlich da, als kompletter Mensch, einmalig, mit ganz bestimmten Wesenszügen, Begabungen und Fähigkeiten. Und dann geht mein Lebenslauf so dahin. Was geschehen ist auf diesem meinem Lebensweg, das kann ich nicht mehr rückgängig machen, das kann ich nicht mehr verändern. Aber genau hier liegt ja das Problem von uns Menschen. Manches aus der Geschichte unseres Lebens macht uns unglücklich, betrübt uns und lastet auf uns. Und wir sagen vielleicht: Hätte das nicht anders sein können?

Und Jesus spricht ja mit seiner Antwort neben der neuen Geburt auch das Reich Gottes an. Für Nikodemus ist das Reich Gottes ein ganz großes Ziel. Im Reich Gottes soll alles ganz anders werden. Da soll es keine Verlierer mehr geben. Da wird Gerechtigkeit herrschen. Das Negative wird keinen Platz mehr haben. Aber wie soll das gehen? Jesus sagt: Wir müssen von Neuem geboren werden. Und Nikodemus denkt: Das geht nicht!

Doch hier liegt das Problem. Hier liegt das Geheimnis des Glaubens! Jesus unterscheidet. Er differenziert zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Bereich. Rein weltlich betrachtet liegt die Geburt hinter uns. Es ist das Geschehen, das im Fleisch geschieht. Aber im geistlichen Bereich, da kann ich von Neuem geboren werden. Und das geschieht in der Begegnung mit dem lebendigen Gott. Und somit kann ein Mensch neu werden. Das Alte, das Belastende, das kann der Vergangenheit angehören. Durch die Neugeburt können und dürfen wir frei sein.

Gott, der Schöpfer, hat uns das Leben geschenkt. Doch er hat ein Herz für uns Menschen. Er möchte uns nicht in dieser Welt zurücklassen, ausgeliefert allem, was unser Leben belasten und herunterziehen kann. Deshalb kommt er in seiner Liebe uns entgegen. Er wird einer von, kommt uns nahe, um uns zu erlösen, um uns frei zu machen. Gott begibt sich zu uns auf Augenhöhe, nicht umgekehrt, wie Nikodemus es versuchte.
Nikodemus braucht Zeit, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Es ist eine Wegstrecke, die er zurückzulegen hat. Und so ist das auch bei uns Menschen heutzutage. Aber es ist gut, dass Gott uns dabei nicht allein lässt.

Jesus präzisiert seine Aussage: Wir müssen von Neuem geboren werden durch Wasser und Geist. Und auch hier begegnen uns wieder die beiden Ebenen, das Weltliche und das Geistliche. Und wir befinden uns bei der Taufe. Die Taufe wird mit Wasser vollzogen, und wir erbitten den Heiligen Geist für den Täufling. Das äußere Zeichen des Wassers verweist auf das innere Geschehen, dass der Heilige Geist auf einen Menschen kommt. „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein  jeder, der aus dem Geist geboren ist.“ Hier begegnen wir Gott im Heiligen Geist. Er ist hier und heute, immer und überall gegenwärtig. Wir können auch in unseren Tagen Gott begegnen. Wir dürfen Jesus sehen, uns von ihm ansprechen lassen. Im Heiligen Geist ist Jesus für uns da. Entscheidend ist, dass wir bereit sind, die Freundschaft mit Gott zu leben. Wasser und Geist gehören zusammen. Die Taufe ist der sichtbare Beginn dieser Freundschaft. Aber eine Freundschaft ist kein punktuelles Ereignis. Sie will eben gelebt werden.

Eine Frage des Nikodemus wie auch von uns Menschen heute lautet: Wie werde ich ein neuer Mensch? Wie kann ich frei werden von den alten Dingen meines Lebens, von dem, was mir die Luft zum Atmen nimmt? Wie kann ich mit mir zurechtkommen, mit meinen Ecken und Kanten, meinen Macken? Wie werde ich neu? Wie werde ich frei?

Jesus hält dem Nikodemus vor, dass die Pharisäer und Schriftgelehrten sich nicht öffnen für ihn, für die Botschaft des lebendigen Gottes. Und wer sich nicht öffnen kann und will, der wird dem Geheimnis des Glaubens nicht auf dem Grund gehen können. Jesus ruft Nikodemus und die Menschen seiner Zeit wie auch uns heute dazu auf: Öffne Dich immer wieder neu dem Wind des Lebens, dem Heiligen Geist! Lass dich ansprechen von der Botschaft Jesu. Gott möchte Dir das neue Leben schenken, das Bestand hat.

Wie kann ich ein neuer Mensch werden? Dazu gibt es ganz konkrete Schritte: Sag ja zu Jesus. Nimm Dir Zeit für Jesus! Bete um den Heiligen Geist, dass er Dich erfülle und verändere! Lese und höre sein Wort! Und lass Dich bewegen zu einem neuen Lebensstil. Gott möchte Dich verwandeln! Er möchte Dich frei machen. Von Neuem geboren hast Du eine neue Perspektive für Dein Leben.

Gott, der Schöpfer, hat Dir das Leben geschenkt. Und er will Dein Leben neu machen. In Jesus ist er uns Menschen nahe gekommen, hat seine Liebe uns gezeigt und alles für uns gegeben. Und im Heiligen Geist will er Dir alle Zeit begegnen, Dein Leben erneuern, Dir Jesus zeigen, Dir helfen, dass Du das Alte und Belastende abgeben kannst und die Freude am neuen Leben mit anderen teilen kannst. Das ist der eine, lebendige Gott!

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg